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Sozial-kognitive Informationsverarbeitung (SKI)

Zitiervorschlag: Schick, B., Walther, K. (2025). „Sozial-kognitive Informationsverarbeitung (SKI)“. Abgerufen von URL https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:sozial-kognitiv, CC BY-SA 4.0

Kurze Beschreibung

Das Modell der sozialkognitiven Informationsverarbeitung (SKI) bietet eine präzise Beschreibung der Informationsverarbeitung in sozialen Interaktionen.(Cricke & Dodge, 1994; Lemerise & Arsenio, 2000). Im (Schul-)Alltag finden unzählige solcher sozialen Interaktionen statt. Diese beeinflussen das tägliche Geschehen maßgeblich. Das Modell beschreibt, dass soziales Handeln immer unter dem Einfluss von verschiedenen Faktoren steht. Dazu zählen Emotionsprozesse, der Erinnerungsspeicher sowie das Wissen eines Individuums über Regeln und soziale Schemata (Hennemann et al., 2017).

Das Modell beschreibt sechs Phasen, die zirkulär aufeinanderfolgen:

1. Wahrnehmen/Enkodieren sozialer Hinweisreize:
Hinweisreize sind Verhaltenssignale sozialer Partner:innen. Ein Hinweisreiz kann zum Beispiel von einer Lehrperson ausgelöst werden, in dem sie sich schlicht von einem Schüler abwendet. Auch ein bloßer Blick, der von einer Schülerin zu einer anderen geworfen wird, kann ein solcher Hinweisreiz sein. Bei der Enkodierung der Hinweisreize spielen neben dem Emotionswissen und dem Empathievermögen der wahrnehmenden Person insbesondere deren aktuelle und überdauernden Gefühlszustände eine besondere Rolle. Ängstliche Personen nehmen Hinweisreize demnach potenziell eher als bedrohlich wahr.

2. Interpretation der sozialen Hinweisreize:
Hier werden den Hinweisreizen nun Kausalattributionen hinzugefügt, die dem Verhaltenssignal des Gegenübers eine Bedeutung und eine Intention zuweisen. Die Interpretation ist stark davon abhängig, wie sehr Kinder und Jugendliche mit der anderen Person vertraut sind und in welcher Beziehung sie zu dieser stehen. Hinweisreize von Eltern können oft besser interpretiert werden als von unbekannten Personen. In dieser Phase spielt außerdem die allgemeine Grundstimmung eine wichtige Rolle. Bei wahrgenommener feindseliger Grundstimmung werden Hinweisreize eher als feindselig interpretiert. Eine fehlerhafte Interpretation beeinflusst alle weiteren Phasen.

3. Zielklärung:
Auf Grundlage der bisherigen Wahrnehmung und Interpretation der Hinweisreize klärt das Individuum mit sich, welches Ziel in dieser sozialen Interaktion verfolgt werden soll. In dieser Phase ist die Fähigkeit zur Emotionsregulation von besonderer Bedeutung: Je intensiver ein Gefühl wahrgenommen wird, desto kurzfristiger werden eigene Ziele gesetzt. Fühlt sich das Individuum aufgrund seiner Wahrnehmung und Interpretation von sozialen Hinweisreizen bedroht, so werden überdurchschnittlich häufig aggressive Zielbestimmungen vorgenommen (Harper et al., 2010).

4. Konstruktion und Imagination von Handlungsmöglichkeiten:
In der Folge wird im bisherigen Verhaltensrepertoire nach geeigneten Handlungsmöglichkeiten als Antwort auf den Hinweisreiz gesucht. Es erfolgt ein Abgleich mit bisherigen Erfahrungen. Hierbei spielen sowohl die Emotionsprozesse als auch die bereits gelernten Reaktionsmuster eine wichtige Rolle.

5. Bewertung der konstruierten Handlungsmöglichkeiten und Auswahl:
Die Bewertung der Handlungsmöglichkeiten erfolgt immer in Erinnerung an vorherige Erfahrungen in ähnlichen Situationen. Die Auswahl der Handlungsmöglichkeit steht demnach in engem Zusammenhang mit den Vorerfahrungen. Hat sich beispielsweise ein Kind durch bestimmte Handlungen in sozialen Situationen als selbstwirksam erfahren, steigert dies die Wahrscheinlichkeit, dass diese Handlungsmöglichkeit wieder gewählt wird.

6. Ausführung der gewählten Handlungsmöglichkeit:
Das Verhalten wird ausgeführt, die Interaktionspartner:innen bewerten das gezeigte Verhalten und die SKI durchläuft eine weitere Schleife.


Wie kann die Theorie beim Erklären von herausforderndem Verhalten helfen?

Die SKI beschreibt sehr präzise und schematisch einen möglichen Wirkmechanismus, wie Verhaltensweisen entstehen können. Sie setzt in Bezug auf das Verstehen dabei stark auf die emotionalen und sozialen Voraussetzungen des Individuums. Der überwiegend unbewussten und zugleich erfahrungsbasierten Interpretation von Hinweisreizen kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu. Die Bewusstmachung der Interpretation durch Reflexion ist zugleich auch der Ansatzpunkt für die Ausgestaltung möglicher individueller Bildungs- und Erziehungsangebote.

Beispiel: Schüler A wirft Schüler B während der Arbeitsphase einen Blick zu, worauf Schüler B sofort mit einer Beleidigung oder Bedrohung reagiert. Was ist passiert? Im Sinne des SKI-Modells lässt sich das Verhalten von Schüler B im inneren Monolog wie folgt erklären:

1. Wahrnehmung/ Enkodierung: “A schaut mich an.”
2. Interpretation: “A schaut herablassend. Der findet mich dumm.”
3. Zielformulierung: “A soll merken, dass ich nicht dumm bin und keine Angst vor ihm habe.”
4. Konstruktion von Handlungsmöglichkeiten: “Ich könnte ihn beleidigen oder bedrohen.”
5. Bewertung der Handlungsmöglichkeit und Auswahl: “Ich bedrohe ihn lieber, dann versteht er es besser.”
6. Ausführung des Verhaltens: “Ich hau dir gleich in ….!”


Grenzen

Die Theorie der SKI beschreibt die Prozesse in sozialen Interaktionen sehr präzise, sie setzt jedoch hinsichtlich der Nutzbarmachung in (sonder-)pädagogischen Bezügen eine hohe Fachexpertise voraus. Der schematisch beschriebene Prozess verläuft in Teilen unbewusst, so dass insbesondere mit jüngeren Schüler: innen die Bewusstmachung (als Voraussetzung für eine reflexive Änderung des eigenen Verhaltens) als äußerst komplex angesehen werden kann.


Diagnostische Fragen im Zusammenhang mit der Theorie


Konkrete diagnostische Methoden im Zusammenhang mit der Theorie


Impulse für die Gestaltung individueller Bildungsangebote

Die Bewusstmachung der Interpretation von Hinweisreizen stellt den entscheidenden Schlüssel für die Verhaltensmodellierung dar. Neben der Einbettung dieser reflexiven Prozesse in die Alltagskommunikation kommen folgende Programme bzw. formellen Trainings in Betracht:


Literatur

Cricke, N. R., & Dodge, K. A. (1994). A review and reformulation of social information-processing mechanism in children`s social adjustment. Psychological bulletin 115, 74-101.

Harper, B., Lemerise, E., & Caverly, S. (2010). The Effect of Induced Mood on Childrens Social Information Processing: goal Clarification and Response Decision. Journal od Abnormal Child Psychology 38, 575-586.

Hennemann, T., Hövel, D., Casale, G., Hagen, T., & Fittin-Dahlmann, K. (2017). Schulische Prävention im Bereich Verhalten (S. Ellinger, Ed. 2. Aufl. ed.). Kohlhammer

Lemerise, E., & Arsenio, W. (2000). An Integrated Model of Emotion Processes and Cognition in Social Information Processing. Child Development, 71, 107-118. https://doi.org/doi:10.1111/1467-8624.00124

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Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg