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Kooperatives Lernen

Zitiervorschlag: Stecher, M., Rauner, R. (2023). „Kooperatives Lernen“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:kooperatives_lernen, CC BY-SA 4.0

Im Zentrum Kooperativen Lernens stehen Dialogsituationen. Kooperatives Lernen ist somit geradezu prädestiniert für den Erwerb und die kontinuierliche Weiterentwicklung kommunikativer Kompetenzen. So können sich die Schüler:innen in diesem Unterrichtsformat unter Berücksichtigung der unten aufgeführten Gelingensfaktoren selbstwirksam in der Kommunikation mit ihren Mitschüler:innen erleben, z.B. wenn ein:e Mitschüler:in etwas besser versteht, weil man es ihr bzw. ihm erklärt oder wenn das Teamergebnis gut präsentiert wird und man aus der Klasse und von der Lehrperson positives Feedback bekommt. So wird Kommunikation zu einem echten Bedürfnis der Schüler:innen.

Grundprinzipien Kooperativen Lernens

Denken-Austauschen-Vorstellen (Think-Pair-Share) - dieser Dreischritt ist für das Kooperative Lernen unabdingbar (vgl. Brüning & Saum 2009). Er stellt gleichsam die Basis Kooperativen Lernens dar.

Zitiervorschlag: Grafik „Die Grundprinzipien Kooperativen Lernens“ von Stecher, M. & Rauner, R. (2023) nach Brüning, L. & Saum, T. (2009). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:kooperatives_lernen

In einem ersten Schritt setzen sich alle Schüler:innen zunächst individuell mit einer Aufgabe auseinander. Diese Phase der Einzelarbeit, auch Konstruktionsphase genannt, ist im Rahmen Kooperativen Lernens aus mehreren Gründen bedeutsam. Zum einen bekommen alle Schüler:innen in dieser Phase ausreichend Zeit, ihr Vorwissen bzw. ihre Vorerfahrungen zu einer bestimmten Frage- oder Problemstellung, einem Text etc. zu aktivieren. Dabei ist jede:r gefordert, sich der Aufgabe zu stellen und kann nicht, wie z.B. in einem Unterrichtsgespräch, davon ausgehen, dass nur die Schüler:innen aufgerufen werden, die sich melden. Dies fördert die individuelle Verantwortung für das Lernergebnis.

In einem zweiten Schritt folgt nun der eben erwähnte Austausch zu zweit oder in der Kleingruppe, der immer im Anschluss an die Einzelarbeit stattfindet. Dabei tauschen die Schüler:innen ihre individuellen Wissenskonstruktionen aus und entwickeln eine sog. „Ko-Konstruktion“, in die Widersprüche, Ergänzungen oder Korrekturen einfließen (Ko-Konstruktion 1). Wer noch Informationen benötigt, wird der:dem Anderen aufmerksam zuhören und wird ggf. Fragen stellen, wenn etwas unklar ist. Diese hingegen müssen jeweils sorgfältig und verständlich berichten, darlegen und informieren.

In einem dritten Schritt werden die Ergebnisse der Austauschphase in der Klasse vorgestellt, geprüft und diskutiert. In dieser erneuten Phase der „Ko-Konstruktion“ integrieren die Schüler:innen die vorgestellten Informationen in ihre mentalen Netze (Ko-Konstruktion 2).

Im Kern geht es also beim Kooperativen Lernen um einen strukturierten Wechsel der Sozialformen mit dem Ziel, die kognitive Aktivierung der gesamten Klasse „hoch zu halten“. Das ist auch der Unterschied zur herkömmlichen Gruppenarbeit, in der die Schüler:innen ein gestelltes Problem in der Regel unmittelbar gemeinsam bearbeiten. Dadurch entstehen dann die bekannten Probleme, dass z.B. nur ein oder zwei Schüler:innen die Arbeit machen und die anderen sich nicht beteiligen und der Lernzuwachs meist nur sehr gering ist. Kooperatives Lernen ist verbindlicher, strukturierter und ergebnisorientierter als herkömmliche Gruppenarbeit und daher im Unterricht ungleich wirksamer.

Den Dreischritt „Denken-Austauschen-Vorstellen“ in den Unterricht zu integrieren bedeutet nicht, ihn in immer derselben Form zu wiederholen. Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, diese Struktur (in Abhängigkeit von den Lernzielen und der Lerngruppe) immer wieder neu zu kombinieren. Auch die zeitliche Taktung ist variabel. So kann der Dreischritt Kooperativen Lernens sowohl eine einstündige als auch eine mehrstündige Unterrichtssequenz strukturieren, er kann aber z.B. auch nur ein Element zu Beginn einer Unterrichtsstunde markieren, um die Aufmerksamkeit aller Schüler:innen auf das Unterrichtsthema zu richten.

Gelingensfaktoren für Kooperatives Lernen

Im Folgenden sind verschiedene Gelingensfaktoren für Kooperatives Lernen aufgeführt. Sie tragen dazu bei, dass die Schüler:innen kognitiv aktiviert sind und ihre kommunikativen Kompetenzen durch dieses Unterrichtsformat weiterentwickeln.

Gelingensfaktor 1: Kognitive Aktivierung in der THINK-Phase

Die Phase der Einzelarbeit (THINK-Phase) ist im Rahmen Kooperativen Lernens besonders bedeutsam. Im Kern geht es darum, allen Schüler:innen die Möglichkeit zu geben, Vorwissen und Vorerfahrungen zu einer bestimmten Frage- oder Problemstellung kognitiv zu aktivieren. Dies wiederum ist Grundvoraussetzung dafür, dass alle Schüler:innen in der anschließenden PAIR-Phase bildungsrelevante Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können und einander möglichst „auf Augenhöhe“ begegnen, was wiederum besonders bedeutsam ist für das Zustandekommen eines konstruktiven und produktiven Dialogs.

Damit es tatsächlich gelingt, alle Schüler:innen in der THINK-Phase trotz ihrer unterschiedlichen Lernvoraussetzungen kognitiv zu aktivieren, ist der Einsatz der im Folgenden aufgeführten Differenzierungs- und Individualisierungsmaßnahmen von zentraler Bedeutung:

Quantitative Formen:

  • bzgl. des zu bearbeitenden Stoffumfangs
  • bzgl. der zur Verfügung stehenden Zeit

Qualitative Formen:

  • bzgl. der Aneignungsmöglichkeiten (basal-perzeptiv, enaktiv, ikonisch, symbolisch)
  • bzgl. der sprachlichen Anforderungen (schriftliche Anweisungen, Leseverstehen,…)
  • bzgl. des Schwierigkeitsgrades der Aufgabe (Komplexität, Offenheit,…)
  • bzgl. der Hilfen (Hilfekärtchen, Strukturierungshilfen,…)
  • bzgl. des Interesses

Gelingensfaktor 2: Positiv-wechselseitige Abhängigkeit in der PAIR-Phase

„Positiv-wechselseitige Abhängigkeit“ besteht dann, wenn alle Mitglieder:innen einer Gruppe sich miteinander darin verbunden fühlen, ein gemeinsames Ziel erreichen zu wollen. Anders ausgedrückt: Damit die Gruppe Erfolg haben kann, muss jeder erfolgreich sein. Die in der folgenden Abbildung dargestellten Aspekte sollen dazu beitragen, positiv wechselseitige Abhängigkeit zu schaffen, was sich sowohl positiv auf das Arbeitsergebnis als auch auf das dialogische Miteinander im Gruppenprozess auswirken kann.

Zitiervorschlag: Grafik „Die Grundprinzipien Kooperativen Lernens“ von Stecher, M. & Rauner, R. (2023) nach Brüning, L. & Saum, T. (2009). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:kooperatives_lernen

Abhängigkeit von der Lernumgebung: Die Schüler:innen benötigen für ihre Arbeit eine klar begrenzte und strukturierte Lernumgebung, d.h. auf dem Arbeitsplatz befindet sich ausschließlich das benötigte Arbeitsmaterial. Die Schüler:innen sollen zudem durch eine dialogfördernde Sitzordnung möglichst leicht Blickkontakt zueinander aufnehmen können, um in Kommunikation treten zu können.

Materialabhängigkeit: Jede:r Schüler:in einer Gruppe besitzt nur einen bestimmten Teil des notwendigen Lernmaterials, mit dem sie/er arbeiten muss und einen unverzichtbaren Beitrag zum Gesamtergebnis leistet. Erst das Zusammenspiel des gegebenen Materials erbringt das Gruppenergebnis. Wenn eine Gruppe z.B. die Aufgabe hat, sich über ein bestimmtes Thema zu informieren, kann die Lehrperson jedem einzelnen Gruppenmitglied einen Textabschnitt geben, den jede:r Schüler:in zunächst selbständig erarbeitet, um dann die anderen jeweils über den Inhalt zu informieren. Dabei tragen alle Schüler:innen zur Bearbeitung der Aufgabe ihren Anteil bei und erschließen sich diese gemeinsam und sukzessiv.

Reihenfolgeabhängigkeit: Die Gesamtaufgabe einer Gruppe wird in einzelnen Arbeitsschritten gelöst. Jedes Gruppenmitglied übernimmt dabei einen Arbeitsschritt und bereitet damit die Grundlage, auf der die anderen Gruppenmitglieder ihrerseits ihre Arbeitsschritte durchführen können. Die Arbeitsschritte sind so vorstrukturiert, dass nur das Einhalten einer bestimmten Reihenfolge zum erwünschten Ziel führt, was wiederum die Möglichkeit zahlreicher Turn-Wechsel erhöht. So liest z.B. ein:e Schüler:in einen Versuchsaufbau, ein:e zweite:r besorgt dazu das benötigte Material und baut den Versuch auf, die:der dritte führt den Versuch durch und die:der vierte dokumentiert das Ergebnis.

Rollenabhängigkeit: Den einzelnen Schüler:innen im Team werden für die Dauer der Zusammenarbeit unterschiedliche Rollen zugewiesen, z.B. durch visualisierte Rollenkarten, die nach und nach eingeführt und im Unterricht erprobt und regelmäßig reflektiert werden. Dabei wird unterschieden zwischen a) fachlichen Rollen, wie z.B. die Rolle „Vorleser:in“, „Schreiber:in“ oder „Maler:in“; b) methodischen Rollen, wie z.B. die Rolle „Materialmanager:in“, „Zeitmanager:in“; c) sozialen Rollen, wie z.B. die Rolle „Ermutiger:in bzw. Lober:in“, „Redezeitmanager:in“ oder „Flüsterstimmenchef:in“. Zu Beginn bietet es sich an, maximal zwei Rollen einzuführen. Bevor weitere Rollen hinzukommen, ist es wichtig, dass sich die Schüler:innen zunächst mit den neuen Rollen vertraut machen, die damit verbundenen Aufgaben kennenlernen, sich in den Rollen erproben und regelmäßig gemeinsam mit der Lehrperson reflektieren, wie das Einnehmen einer Rolle geklappt hat. Es ist sinnvoll, die Phase der Rolleneinteilung von Beginn an zu ritualisieren und zugeteilte Rollen zu visualisieren.

Simulationsabhängigkeit: Die Verbundenheit mit dem Team kann man auch dadurch stärken, dass man den Teams wie im anschließenden Beispiel eine fiktive Rolle zuweist: „Ihr seid eine Gruppe von Polarforscher:innen. Um überleben zu können, müsst ihr eine Windrose bauen, um feststellen zu können, aus welcher Richtung der Wind weht. Denn wenn er von Osten weht, dürft ihr eure Hütte nicht verlassen, weil ihr dann erfriert.“ Das Beispiel zeigt, dass diese Form der Simulation die Lernmotivation im Team stark ansprechen kann, weil die natürliche Spielfreude der Schüler:innen genutzt wird, um wirksame Lernprozesse zu ermöglichen.

Gelingensfaktor 3: Instruktionen gezielt einsetzen

Instruktionen durch die Lehrperson behalten auch im Kontext Kooperativen Lernens einen ganz zentralen Stellenwert, da gerade sie es sind, die selbstgesteuertes Lernen erst ermöglichen. Dies gilt insbesondere für Schüler:innen, die z.B. aufgrund einer nicht vollständig entwickelten „inneren Sprache“ Unterstützung sowohl in ihrer Handlungsplanung als auch in ihrer Handlungssteuerung benötigen. Instruktionen gezielt einzusetzen, verlangt von der Lehrperson Präsenz zu zeigen, zu lenken, zu bündeln und zu fokussieren. Dies gilt insbesondere für folgende Phasen des Unterrichts:

  • Arbeitsanweisungen
  • Gelenkstellen und Übergänge
  • Sicherung von (Teil-) Ergebnissen

Der Vereinfachung der Lehrer:innensprache durch die im Folgenden aufgeführten Merkmale kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu:

  • Kurze und prägnante Sätze mit geringer Komplexität
  • Verwendung von bekanntem Wortschatz
  • Variationsreiche Lehrer:innensprache
  • Wiederholung und Akzentuierung besonders wichtiger Wörter
  • Einsatz von Sprechpausen
  • Unterstützung der Verbalsprache (z.B. durch Gegenstände, Bilder, Schrift, …)

Eine wirksame Verzahnung von „Instruktion“, „Konstruktion“ und „Ko-Konstruktion“, so lässt sich festhalten, eröffnet im Kontext Kooperativen Lernens gleichermaßen die Chance auf nachhaltige Bildungsprozesse und die Weiterentwicklung kommunikativer Kompetenzen.

Zitiervorschlag: Grafik „Die Grundprinzipien Kooperativen Lernens“ von Stecher, M. & Rauner, R. (2023) nach Brüning, L. & Saum, T. (2009). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:kooperatives_lernen

Gelingensfaktor 4: Reflexion der Lehrer:innenrolle im Kooperativen Lernen

Lehrpersonen fällt es häufig schwer, den Schüler:innen im Rahmen des Kooperativen Lernens, insbesondere in der Phase des Austauschs (PAIR-Phase), das Maß an Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zuzugestehen, das für einen dialogischen Austausch unerlässlich ist. Grundsätzlich bedeutet ein Eingreifen während dieser Phase eine Unterbrechung des dialogischen Miteinanders durch die Lehrperson. Lehrpersonen meinen es gut, wenn sie von Gruppentisch zu Gruppentisch gehen. Sie sollten sich aber darüber bewusst sein, dass sich durch bloßes Nähern einer Gruppe deren Gruppenprozess verändert, der Fokus zur Lehrperson geht und dies nicht selten zum Abstürzen der Arbeitshaltung führt. Also: Wenn sich die Lehrperson um einen klaren Arbeitsauftrag kümmert, sollte es für sie zunächst keinen Grund geben, von sich aus ins Gruppengeschehen einzugreifen. Stattdessen bietet es sich an, gemeinsam mit den Schüler:innen die im Folgenden aufgeführten Handlungsmöglichkeiten einzuüben. Diese fördern einerseits die Selbständigkeit der Schüler:innen im Umgang mit Fragen und Unsicherheiten, andererseits ermöglichen sie der Lehrperson, diese Phase vorrangig diagnostisch, d.h. zur gezielten Beobachtung, zu nutzen und falls tatsächlich notwendig, ganz gezielt Unterstützung anzubieten.

Einsatz des Rot-Grün-ZeichensDamit ist gemeint, dass die Lehrperson durch den Einsatz einer einfachen „Rot-Grün-Ampel“ unmissverständliche Zeichen setzt, ob sie denn in der entsprechenden Phase Sprechstunde hat oder nicht. Rot heißt keine Sprechstunde; Grün bedeutet, dass die Lehrperson für Fragen bereit steht. Indem zu Beginn einer Gruppenarbeitsphase für ca. 3 Minuten auf Rot geschaltet wird, finden die Gruppenmitglieder in aller Regel zur nötigen Eigenständigkeit und Selbsthilfe.
Klar gegliederte VerantwortlichkeitsketteDamit ist gemeint, dass Schüler:innen bei auftretenden Fragen zunächst versuchen, diese mit den Lernpartner:innen in ihrer Gruppe zu klären. Falls die Fragen dadurch nicht beantwortet werden können, können die Schüler:innen, ohne den Unterricht zu stören, ihren Namen z.B. an ein für die Lehrperson gut sichtbares „Ich-brauche-Hilfe-Schild“ pinnen oder auf eine „Erste-Hilfe-Box“ mit zusätzlichen Materialien zurückgreifen. Bildungsangebote in dieser Phase zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass bei Fragen nicht die ganze Lösung bzw. der ganze Lösungsweg aufgezeigt wird, sondern (minimal) unterstützt wird, z.B. in Form von Tippkarten als Denkanstoß.

Literatur

Brüning, L. & Saum, S. (2009). Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen 2. Essen: Neue deutsche Schule Verlagsgesellschaft

Brüning, L. (2015). Kooperatives Lernen und kognitive Aktivierung. In: Pädagogik. Heft 5/2015. Weinheim: Beltz Verlag

Stecher, M. & Rauner, R. (2019). Unterrichtsqualität im Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation. Heidelberg: Median Verlag


Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg

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