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Strukturierung und Organisation von 2D-Vokabular
Zitiervorschlag: Gromer, B. (2023). „Strukturierung und Organisation von 2D-Vokabular“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:vokabular_2d, CC BY-SA 4.0
Neben der begründeten Auswahl von Vokabular hat die Strukturierung und Organisation von 2D-Vokabular (zweidimensionale visuelle Symbole, z.B. Fotos, Zeichnungen, Piktogramme) Einfluss auf eine gelingende Nutzung. Sowohl auf analogen Kommunikationshilfen (z.B. Kommunikationstafeln, Kommunikationsbüchern), als auch auf digitalen Kommunikationshilfen (z.B. Sprachausgabegeräte und Sprachcomputer, sog. „Talker“) muss das vorhandene Vokabular sinnvoll und pragmatisch organisiert werden.
Möglichkeiten der Vokabularanordnung
Grundsätzlich lassen sich nach Hünning-Meier/Bollmeyer (2015) folgende Anordnungsformen unterscheiden:
Einseitige Anordnung | Das gesamte Vokabular ist auf einer Seite dargestellt. Dies können auch mehrere oder einzelne (analoge) Bildsymbolkarten sein, die gleichzeitig angeboten werden. |
Mehrseitige sequentielle Anordnung | Das Vokabular ist auf mehreren aufeinanderfolgenden Seiten/ Ebenen organisiert. |
Mehrseitige simultane Anordnung | Teile des Vokabulars sind permanent sichtbar, zeitgleich kann durch andere Teile des Gesamtvokabulars geblättert werden. |
Zitiervorschlag: Tabelle „Anordnungsformen von 2D-Vokabular„ nach Hünning-Meier/Bollmeyer (2015). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:vokabular_2d, CC BY-SA 4.0
Das Vokabular kann in Gitternetzen mit Spalten und Zeilen oder in sog. visuellen Szenenbildern (z.B. „Auf dem Spielplatz“, „Im Schwimmbad“, „Im Wohnzimmer“) angeordnet werden. Forschungen zu unterschiedlichen Formen der Vokabularorganisation zeigen auf, dass in den vorgegeben Layouts sehr junge Kinder (2;6 – 3;11 Jahre) etwas besser mit szenischen Layouts zurechtkamen, als mit gitterförmigen Anordnungen. Bei Kindern im Alter zwischen 4 und 5 Jahren fielen die Unterschiede zwischen den beiden Layouts deutlich geringer aus. Ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Altersgruppen konnte nicht festgestellt werden (vgl. Scholz/ Stegkemper 2022, 59).
Nicht jede Organisationsform ist für jeden Personenkreis gleich gut geeignet. Mehrseitiges und auf verschiedenen Ebenen angeordnetes Vokabular benötigt viel Übung, um die gewünschten Wörter und Sätze zielgerichtet zu finden. Zudem ist ein grundlegendes Kategorienverständnis notwendig (vgl. Scholz/ Stegkemper 2022, 62). Auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Ansteuerung eines Sprachausgabegeräts können Einfluss auf die Gestaltung der Vokabularanordnung haben. So haben Nutzer:innen mit starken motorischen Beeinträchtigungen, die ihr Sprachausgabegerät z.B. mittels eines Tasters im Scanning-Verfahren oder per Augensteuerung bedienen, andere Anforderungen hinsichtlich der „effizienten Erreichbarkeit“ einzelner Wörter und Sätze, als Nutzer:innen, die ihr Gerät motorisch präzise, z.B. mit dem Finger bedienen können. Hier gilt es häufig genutzte Wörter und Sätze so anzuordnen, dass sie möglichst sicher durch wenig „Klicks“ erreicht werden können.
Repräsentation von Vokabular und visuelle Unterstützungsmöglichkeiten
Neben dem Strukturlayout des Vokabulars spielen auch die verwendeten Fotos, Bilder bzw. Bildsymbolsammlungen und deren optische Organisation selbst eine Rolle. Unterschiedliche Bildsymbolsammlungen (z.B. PCS-Symbole, Metacom-Symbole, SymbolStix, Bliss…) geben vor, wie die Bedeutung von Wörtern repräsentiert wird.
Zitiervorschlag: Grafik „Darstellung eines Wortes in unterschiedlichen Bildsymbolsammlungen“. Symole aus SymbolStix und Metacom. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:vokabular_2d, CC BY-SA 4.0
Zudem können farbliche Kodierungen als weitere Orientierungshilfe eingesetzt werden. Genutzt werden häufig die farblichen Kodierungen einzelner Wortarten nach dem Fitzgerald-Schlüssel bzw. nach Maria Montessori.
Wortart | Farbkodierung nach Fitzgerald-Schüssel | Farbkodierung nach Maria Montessori |
---|---|---|
Pronomen | gelb | violett |
Verben | grün | rot |
Adjektive | hellblau | blau |
Substantive | orange | schwarz |
Zitiervorschlag: Tabelle: „Farbliche Kodierung von Wortarten nach Fitzgerald und Montessori„. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:vokabular_2d, CC BY-SA 4.0
Scholz/Stegkemper (2022, 61) stellen Studien zu diesem Bereich vor, die jedoch zeigen, dass sich farbliche Kodierungen bei Kindern und Jugendlichen nicht automatisch als hilfreich erweisen. Die bislang bekannten Daten deuten allerdings darauf hin, dass sie sich bei erwachsenen Personen als potentielle Unterstützung darstellen.
Vokabularstrategien
Komplexe Sprachausgabegeräte sind in der Regel mit einer eigenen Vokabularstrategie ausgestattet. Diese semantische Kodierung strukturiert das vorhandene Vokabular nach einer bestimmten Ordnung. Die Vokabularstrategien unterscheiden sich je nach Entwickler bzw. Anbieter. Die folgende Übersicht von Vock/Lüke (2019) ergänzt durch Gromer stellt einige ausgewählte Vokabularstrategien vor:
Name | Entwicklung/ Vertrieb | Zielgruppe | Kurzbeschreibung |
---|---|---|---|
LogoFOXX | Prentke Romich | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | LogoFOXX ist eine seitenbasierte Vokabularstrategie, die es in unterschiedlichen Komplexitätsstufen gibt (15, 24, 50, 60 oder 80 Felder). Sie ist überwiegend als Einzelwortstrategie konzipiert. Während die Stufen 15 und 24 für Anfänger in der UK gedacht sind, sind alle weiteren Stufen weitaus komplexer und ermöglichen die Flexion von Wörtern und somit das Bilden grammatikalisch korrekter Aussagen. Zur Darstellung des Vokabulars werden METACOM-Symbole genutzt. |
Minspeak | Prentke Romich | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | Minspeak ist eine bildbasierte Kodierungsstrategie mit der man Wörter und Sätze speichern und später sprechen kann, ohne dass jedes Wort durch ein eigenes Bildzeichen dargestellt werden muss. Jedes Ikon trägt mehrere (assoziierte) Bedeutungen und kann nach bestimmten Regeln mit anderen Ikonen zu neuen Wörtern kombiniert werden. Die genutzten Ikonen der Strategie haben auf der Oberfläche eine feste Anordnung, was das Bilden motorischer Muster unterstützen kann. Es sind meist nicht mehr als 2-3 „Klicks“ notwendig, um ein Wort zu bilden. |
ZAK | Rehavista | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | ZAK steht für „Ziel- und anwendungsorientiert kommunizieren“ und ist die elektronische Umsetzung des nichtelektronischen ZAK-Kommunikationsbuchs. ZAK ist eine von pragmatischen Startern ausgehend organisierte Vokabularstrategie. Sie kann in die Software „Compass“ und „Communicator 5“ sowie in die App „GoTalk Now“ integriert werden. Es gibt eine Kindervariante mit METACOM-Symbolen sowie geschlechterspezifische Erwachsenenvarianten mit PCS-Thinline-Symbolen. |
Logopad | Rehavista | Erwachsene | Die Kommunikationsinhalte des Logopads wurden für Menschen mit Aphasie und anderen erworbenen Sprech- und Sprachstörungen entwickelt. Sie sind modular aufgebaut und umfassen: ZAK9: pragmatisch organisiertes Vokabular PlanBe: interessengeleitetes Vokabular mit 4 Feldern Aphasie 16: einfache Kommunikationsinhalte, die nach einer Baumstruktur aufgebaut sind Biografie: Aufarbeitung der Biografie durch fotobasierte Seiten Szene: ermöglicht situationsbezogene Kommunikation über Szenenbilder Übung: ermöglicht Therapeutinnen das Einrichten störungsspezifischer Übungsinhalte Alle Kommunikationsoberflächen wurden in der „GoTalk NOW“-App erstellt und können individuell miteinander kombiniert werden. |
AGILIS | TalkTools | Kinder und Jugendliche | AGILIS ist eine komplexe Einzelwortstrategie mit ca. 2000 Wörtern. Der Aufbau entspricht einer Baumstruktur mit Ober- und Unterkategorien. Das Vokabular berücksichtigt Kern- und Randvokabular und bietet eine automatische Grammatik. Die Vokabularstrategie steht für die Software „The Grid 3“ zur Verfügung. |
REAACTIS | TalkTools | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | REAACTIS richtet sich an Menschen, die Schwierigkeiten im Symbolverständnis haben. Die Vokabularstrategie nutzt Szenenbilder (meist Fotos aus dem reellen Lebensumfeld), um Zugang zu Vokabular zu schaffen. Sie kann integriert werden in die Software „The Grid 3“. |
Sono Flex | TobiiDynavox | Kinder und Jugendliche | Die Grundstruktur von „Sono Flex“ ist nach dem Fitzgerald-Schlüssel organisiert und farblich markiert. Es können Sätze Wort für Wort zusammengesetzt werden. Dabei stehen allerdings keine Grammatikfunktionen zur Verfügung. Zusätzlich werden Kontextseiten angeboten, die verschiedene Wortarten zu einem speziellen Thema oder einer bestimmten Situation anbieten. Zur Darstellung des Vokabulars werden „SymbolStix“-Symbole verwendet. Das Vokabular ist im „Communicator 5“ integriert. |
Sono Lexis | TobiiDynavox | Kinder und Jugendliche | „Sono Lexis“ ist eine komplexe, symbolbasierte Vokabularstrategie, die nach dem Fitzgerald-Schlüssel organisiert und farblich kodiert ist. Auf der Startseite werden neben Wortkategorien, die in einem dynamischen Bereich entsprechende Wörter aufrufen, wenige Wörter aus dem Kernvokabular konstant angeboten. Die Vokabularstrategie beinhaltet eine automatische Grammatik. Eine Besonderheit ist das Prinzip der „rollenden Navigation“. Durch wiederholtes Klicken auf eine Hauptkategorie „rollt“ der Nutzer beispielsweise durch die Unterkategorien. Ein „Zurück-Feld“ existiert daher nicht. Zur Darstellung des Vokabulars werden „SymbolStix“-Symbole verwendet. Die Vokabularstrategie ist im „Communicator 5“ integriert. |
LiterAACy | TobiiDynavox | Kinder und Jugendliche | LiterAACy ist ein komplexes symbolbasiertes Vokabular, das als Ordnungssystem die alphabetische Kategorisierung nutzt. Wörter werden nach ihren Anfangsbuchstaben sortiert und dargestellt. Es gibt mehrere Varianten der Vokabularstrategie. Während in LiterAACy Profi Wörter ausschließlich nach deren Anfangsbuchstaben und Anlauten sortiert sind, bietet LiterAACy Start zusätzlich einen semantischen Zugang zum Vokabular. Zur Darstellung des Vokabulars werden „SymbolStix“-Symbole verwendet. Die Vokabularstrategie ist im „Communicator 5“ integriert. |
Metatalk | Cidar Software | Kinder, Jugendliche und Erwachsene | Metatalk ist eine komplexes symbolbasiertes Kommunikationssystem. Es besteht aus vier unterschiedlich komplexen, gebrauchsfertig zusammengestellten und bei Bedarf anpassbaren Vokabularen. Nach Themen geordnetes (Rand-) Vokabular wird ergänzt durch passendes, besonders häufig gebrauchtes Kernvokabular. Die Anordnung der Wörter wird vorwiegend nach semantisch-pragmatischen Kriterien vorgenommen. Alle grammatikalischen Wortformen sind direkt abrufbar. Eine farbliche Codierung von Wortarten kann optional aktiviert werden. Für die schriftsprachbasierte Kommunikation stehen Buchstabenseiten zur Verfügung. Es werden „METACOM-Symbole“ verwendet. |
Zitiervorschlag: Tabelle „Darstellung unterschiedlicher Vokabularstrategien“ nach Vock/Lüke (2019) ergänzt durch Gromer. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:vokabular_2d, CC BY-SA 4.0
Unabhängig von der Vokabularstrategie zeigt sich, dass alle Ordnungs- und Strukturierungsansätze von Vokabular konstruiert sind. Jede Vokabularstrategie muss daher von UK Nutzer:innen wie eine neue Sprache erlernt werden. „Selbsterklärend sind komplexe Vokabulare für den Anwender in der Regel nicht und dieser muss die Kategorisierung (mentales Modell) und die Navigationswege (motorisches Lernen) einüben.“ (Tiedemann 2011, 316). Den Bezugspersonen fällt dabei eine wichtige Rolle zu, diesen Prozess didaktisch-methodisch zu begleiten (vgl. Grabe/ Bock, 2012, 04.011.012).
Literatur
Garbe, C./ Bock, I. (2012). Komplexe elektronische Kommunikationshilfen im Vergleich. n: Isaac (Hrsg.). Handbuch der Unterstützten Kommunikation. Band 1. Karlsruhe: von Loeper, 04.011.002 – 04.011.013.
Hünning-Meier, M./ Bollmeyer, H. (2015). Nichtelektronische Kommunikationshilfen – theoretische Grundlagen und praktische Anwendung. In: Isaac (Hrsg.). Handbuch der Unterstützten Kommunikation. Band 1. Karlsruhe: von Loeper, 03.003.001 – 03.017.001.
Scholz, M./ Stegkemper, J.M. (2022). Unterstützte Kommunikation: Grundfragen und Strategien. München: Ernst Reinhardt
Tiedemann, L. (2011). LiterAACy. Ein Lesen und Schreiben integrierendes Vokabular. In: Bollmeyer, H./ Engel, K./ Hallbauer, A./ Hünning-Meier, M. (Hrsg.) UK-inklusive. Karlsruhe: von Loeper, 330-342.
Vock, S./ Lüke, C. (2019). Methoden der Unterstützten Kommunikation. In: Thiel, M./ Wanke, M./ Weber, S. (Hrsg.) Unterstützte Kommunikation bei Kindern und Erwachsenen. Praxiswissen Logopädie. Berlin: Springer.
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