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Didaktische Impulse zum Erwerb der Brailleschrift
Zitiervorschlag: Wahl, B., Lang, M. (2021). „Didaktische Impulse zum Erwerb der Brailleschrift.“ Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:kompetenzentwicklung_braille, CC BY-SA 4.0
Welche Faktoren sind förderlich für den Schriftspracherwerb in Braille
Als besonders förderlich für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb in Braille erwies sich eine konsistente und strukturierte Unterweisung in Punktschrift (Emerson et al. 2009a, Barclay et al. 2010).
Hierzu zählen:
- hochwertige taktile Textillustrationen zur Unterstützung des Leseverständnisses,
- vielfältige Übungen zur phonematischen Bewusstheit (Anlautobjekte etc.),
- Erstellen von taktilen Bildern zu eigenen Texten,
- Erstellen eigener Bücher (Kind diktiert anfangs die Texte),
- Anregungen zur Bildexploration,
- Aufbau eines Lese- und Schreibwortschatzes (Wortkärtchen zu Wortfamilien etc.),
- kreative Übungen zum eigenen Schreiben (Reizwortgeschichten etc.),
- vielfältiger Zugang zu Büchern (übertragene Schwarzschriftbücher, Braillebücher); Vorlesesituationen etc.
- gut koordinierten und abgestimmten Zusammenarbeit der blindenspezifischen Betreuungslehrkraft mit der Klassenlehrkraft
Welche Fördermethoden sind besonders effektiv beim Lesen in/Schreiben von Brailleschrift?
Fördermethoden nach dem „Emergent Literacy Ansatz“ (sinnvolle, handlungsorientierte Schriftkontakte und Lese- und Schreibhandlungen) wie z.B. das Förderprogramm Auf der Taststraße zur Punktschrift, das mittels eines handlungsorientierten und individualisierten Förderansatzes und spezifisch entwickelter Fördermaterialien positive Effekte in den Bereichen taktile Differenzierungsfähigkeit, Schriftkonzept, Taststrategien, Motivation und Konzentration erzielt hat (vgl. Lang, M., 2003).
Welche Computer-Programme unterstützen den Schriftspracherwerb in Brailleschrift?
Grundsätzlich ist bei allen Lernsoftwares die Barrierefreiheit für Menschen mit Blindheit zu prüfen. Für den Einsatz der Braille-Zeile in der Grundschule wurde von Kolleginnen des Medienberatungszentrums Ilvesheim ein PC-Kurs erstellt (http://augenbit.de/wiki/index.php?title=Grundschule).
Im Bereich der effektiven Computernutzung wurde der ECDL („internationaler Computerführerschein“) für Braille-Zeilen-Nutzer aufbereitet. (ebenfalls Medienberatungszentrum Ilvesheim (http://augenbit.de/wiki/index.php?title=Hauptseite#augenbit.augenbit.de_-_ein_neues_Zuhause)
Welche präventiven Programme zur Förderung der kognitiven Grundlagen des Lesens in/Schreibens mit Braille-Schrift im Vorschulalter sind im Vorschulalter besonders wirksam?
Auf der Taststraße zur Punktschrift (Lang, M., 2013): Auf der Taststraße zur Punktschrift. Fördermaterialien zur Vorbereitung blinder Kinder auf das Lesen der Brailleschrift. 3. Auflage, Hannover). Das Programm enthält ein Materialpaket mit Übungen zur Verbesserung der taktilen Differenzierungsfähigkeit, zum Aufbau eines Schriftkonzepts, zum Erkennen präliteraler, logographemischer und erster alphabethischer Lesestrategien sowie zur Förderung der Lesebewegungen (beidhändiges Lesen).
Welche präventiven Programme zur Förderung der kognitiven Grundlagen des Lesens in/Schreibens mit Brailleschrift sind im frühen Grundschulalter besonders wirksam?
Die Evaluation von Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi (Forster und Martschinke, 2003) ergab eine bereichsspezifische, signifikante Wirksamkeit im Bereich der phonologischen Bewusstheit insbesondere bei Kindern mit schlechten Ausgangsleistungen. Ab Mitte Klasse 2 entfaltet sich die Wirksamkeit in Bezug auf die Lesegeschwindigkeit. Ein Transfer auf Rechtschreiben ist nicht beobachtbar, aber Ende Klasse 2 findet ein Transfer auf das Leseverständnis statt. Die Effekte sind nachhaltig bis mindestens Ende Klasse 2. Geübt wird 2 Unterrichtsstunden pro Woche. 2 Wochen Lausch und Reimaufgaben, 2 Wochen Aufgaben zur Silbe, 8 Wochen Lese-Training zur Stärkung der Phonem-Graphem-Korrespondenzen und ein 4-wöchiges Schreib-Training, um den Transfer zu fördern. Aus: Steinbrink, C. & Lachmann, T.: Lese-Rechtschreibstörung. Berlin/Heidelberg, 2014.
Da dieses Programm stark visuell orientiert arbeitet, müssen vielfältige Adaptionen vorgenommen werden. Im Folgenden sind einige Adaptionsvorschläge aufgeführt.
1. Lausch- und Reimaufgaben:
- Geräusche identifizieren, Reihenfolgen merken: hier sollten die Gegenstände, die Geräusche produzieren auch zur taktilen Erkundung und zum selbst Ausprobieren bereit gehalten werden (Begriffsbildung)
- Reimwörter: Statt Bildkarten können Realobjekte (Spielsachen, Alltagsgegenstände, Tierminiaturen, Puppenhausmöbel…) verwendet werden. Dabei ist immer zu beachten, dass diese Gegenstände mit den Kindern besprochen werden, insbesondere wenn es sich um Miniaturen, Modelle, etc. handelt.
2. Gegenstände aus der Lebenswelt der Kinder mit unterschiedlichen Silbenzahlen statt Bildkärtchen nutzen. (z.B. Ball, Gabel, Ananas, Unterhose…). Die Darstellung mit Silbenbögen kann taktil (z.B. als Schwellkopie oder mit Konturenstiften) umgesetzt werden.
3. Aufgaben zu Phonemen:
- Auch hier können statt der Bildkarten Gegenstände verwendet werden, die aus der Erfahrungswelt des Kindes kommen oder gemeinsam mit dem Kind exploriert und besprochen werden. Taktile Darstellungsformen von An-/In- Auslaut (z.B. Lautbrettchen Deutscher Hilfsmittelvertrieb DHV, Art. Nr. 2265105), eine dreigeteilte Kiste, in die Muggelsteine gelegt werden, ein Arbeitsblatt mit Klettpunkten, auf die an der richtigen Stelle ein Spielstein oder ähnliches geheftet wird, ein Magnetbrett mit Unterteilung,…)
- Übungen zur An-, In- und Auslautidentifikation können neben der Darstellung mit Gegenständen auch mit Hilfe von Audioaufnahmen gestaltet werden. Digitale Vorlesestifte („Anybookreader“, „Penfriend“) sind eine gute Möglichkeit, wie Bilder mit einer Audio-Ausgabe versehen werden können, so dass dieses auch für nicht-sehende Kinder und Jugendliche zugänglich werden.
- Gleiches gilt für die Übungen zur Analyse von Lauten. Die Darstellung der Lautanzahl im Wort kann taktil gestaltet werden.
4. Beim Schreibtraining ist zu beachten, dass Kinder mit Blindheit über weniger Schrifterfahrung verfügen und die Punktschrift nicht abgeschrieben werden kann, somit muss beim Einsatz darauf geachtet werden, dass das Wortmaterial dem Stand des Kindes im Schriftspracherwerb (Buchstabenkenntnisse) entspricht. Die Buchstabenkärtchen können durch ein Klettbrett mit Braillebuchstaben (Deutscher Hilfsmittelvertrieb DHV, in Eurobraille Art.Nr: 2265109 oder Vollschrift Art. Nr. 2265106) ersetzt werden. Auch hier können Gegenstände oder Audio-Aufnahmen als Alternative für die Bildkarten genutzt werden.
Welche Formen der Intervention bei Lese-Rechtschreibschwierigkeiten sind besonders wirksam bei der Förderung des Lesens von Brailleschrift?
Grundsätzlich ist zu beachten, dass sich die Lesegeschwindigkeit beim Braille-Lesen von der des Schwarzschrift-Lesens unterscheidet. Brailleleser:innen erreichen eine durchschnittliche Lesegeschwindigkeit zwischen 60 und 80 Wörter pro Minute, geübte Leser:innen erreichen 100-150 WpM.
Zur Förderung der Braillelesegeschwindigkeit veröffentlichte Denninghaus (1996): Die Förderung der Lesegeschwindigkeit bei blinden und sehbehinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. blind-sehbehindert 116, 95-100) konkrete Vorschläge, die aus einem in Dänemark erfolgreich erprobten Programm stammen. Die Vorschläge enthalten Techniken zur Verbesserung der Lesebewegungen, zur schnelleren Buchstaben- und Worterkennung und zum schnelleren Textverständnis.
Literatur
Barclay, L.; Herlich, A.A.; Sacks, S.Z. (2010). Effecitve teaching strategies: case studies from the Alphabetic Braille and Contracted Braille Study. Journal of Visual Impairment and Blindness 104, 752-764.
Emerson, R.W.; Sitar, D.; Erin, J.N.; Wormlsey, D.P.; Herlich, S.L. (2009 a). The effect of consistent structured reading instruction on high and low literacy achievement in young children who are blind. Journal of Visual Impairment and Blindness 103, 595-609
Wormsley, D.P. (2016): I-M-ABLE: Individualized meaning-centered approach to braille literacy education. New York.
Wormsley, D.M. (1979): The effects of a hand movement training on the hand movements and reading rates of young braille readers. Pittsburgh.
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg